Eigenverantwortung in Ausübung eines gefährlichen Berufes

Offener Brief 

an Herrn Welf Stankowitz, Referatsleiter Fahrzeugtechnik des DVR (Deutscher Verkehrssicherheitsrat)*

 

 

Sehr geehrter Herr Stankowitz,

 nachdem sich in Berlin-Pankow am Abend des 22. Februar 2013 erneut ein Taxifahrerkollege vor einer Messerattacke eines Fahrgastes retten konnte, in dem er sich aus dem fahrenden Taxi hat fallen lassen, will ich Sie im Namen von „TaxiDeutschland, Landesverband Berlin e.V.“ noch einmal dringlich vor der Abschaffung des § 21a, Absatz 1, Nr.1  StVO warnen. 

 

„Der 36-Jährige gab dem Täter das Portemonnaie und ließ sich aus dem Wagen auf die Straße fallen (…) Der Taxifahrer (…) blieb unverletzt.“(Quelle dpa) Wir sind der Auffassung, dass mit dieser „Ausnahmeregelung zum Anlegen des Sicherheitsgurtes während der Fahrt für Taxi- und Mietwagenfahrer bei der Fahrgastbeförderung“ eine unwiderlegt sinnvolle, weil, wie mehrfach bewiesen, unter Umständen lebensrettende Sonderregelung für Taxifahrer wegfallen soll.

 

Mit großem Interesse habe ich Ihren Schriftverkehr mit einem Berliner Taxiunternehmer verfolgt, der diese Problematik an Sie heran getragen hatte. Unser langjähriges Mitglied, Michael Sagawe, hatte mit einem vergleichbaren Überfall im April des vergangenen Jahres auf einen Kollegen in der Nähe von Darmstadt argumentiert. Als dem ein Messer an den Hals gesetzt wurde, rettete auch er sich mit einem Sprung aus dem langsam fahrenden Taxi. 

 

Wie sich vor Gericht später herausstellte, hatten die Täter vor, den Kollegen auszurauben, in den Kofferraum zu sperren und samt Taxi in einem See zu versenken. Anschnallpflicht, damit man wie ein Opfer wehrlos im Gurt hängt? „Allein die Umklammerung des Gurtschlosses durch die Hand des Täters reicht aus, um gefangen im Fahrersitz zu bleiben und z. B. einer Messerattacke nicht entfliehen zu können“, führt Kollege Sagawe weiter aus und bekräftigt es mit eigenen Erfahrungen: „ich fahre seit 1990 ausschließlich nachts und hatte mehr als einmal den Finger am Türöffner, um flüchten zu können. Ein Gurt hätte mich entscheidend behindert.“

 

Genau wegen solcher immer wieder unvermittelt möglicher Übergriffe gibt es diese Sonderregelung für Taxifahrer. Sie sagen, Sie wollten „sich zum Schutz der Taxifahrer dafür ein(setzen), dass diese Ausnahmeregelung in Zukunft entfällt.“ 

 

Das ist auch mit den von Ihnen bemühten Statistiken nicht zu erklären. Dass eine Statistik der Berufsgenossenschaft in der Zeit von 1989 bis 2005 neben 259 Taxifahrern, die durch Verkehrsunfälle ums Leben kamen, nur 67 Kollegen registriert, die bei Überfällen getötet wurden, ist auch für Herrn Sagawe kein Argument für den Wegfall der Ausnahmeregelung. Sagawe: „In dieser Statistik ist nicht ausgewertet, wie viele dieser 259 Kollegen angeschnallt waren und durch die Schwere des Unfalls ums Leben gekommen sind.“ Erst wenn dies berücksichtigt würde, wären die Zahlen verwertbar. Aber alleine die 67 getöteten Überfallopfer sprechen schon eindeutig für das Beibehalten der gültigen Regelung.

Sie argumentieren weiter, dass „nahezu 50 Prozent aller meldepflichtigen Unfälle bei der BG Verkehr (…)Verkehrsunfälle sind“, die „in 2010 Entschädigungsleistungen in Höhe von 8,11 Mio. Euro verursacht“ hätten. „Wie viel der im Jahre 2010 gezahlten Entschädigungsleistungen gingen an verletzte, unangeschnallte Taxifahrer? Und wie viel Geld wurde eingespart, weil man, wie in dem beschriebenen Fall, keine Kosten für die Hinterbliebenen hatte“, fragt Michael Sagawe völlig zu Recht.

 

Was Sie grundsätzlich zu den Sicherheitsaspekten des Gurtanlegens und den Sicherungssystemen moderner Autos sagen, ist ohne Zweifel alles korrekt. Sie vernachlässigen dabei aber die „taxispezifischen Übergriffe und Gewaltdelikte“, obwohl Sie selber anführen, dass die „auch heute noch für viele Fahrer von Taxis eine realistische Bedrohung“ mit „tödlichen“ und „traumatisierenden“ Folgen darstellen. Sagawe: „Diese Ausnahmeregelung existiert in vielen Ländern und auch die EU – Verkehrskommission hat bereits eine Änderung der bestehenden Regeln abgelehnt.“

 

Wir appellieren daher an Sie, den Wegfall der Ausnahmeregelung nicht weiter zu betreiben. Dem Schlussappell Michael Sagawes will ich mich gerne anschließen:

„viele meiner Kollegen fahren fast ständig angeschnallt und nutzen nur selten diese Ausnahmeregelung! Ich würde mich freuen, wenn ein Taxifahrer in Deutschland auch weiterhin situationsbedingt entscheiden kann, wann er sich anschnallt und wann nicht! Ohne Gurt zu fahren kann auch Leben retten!“

 

Wäre das nicht auch ganz im Sinne eines der zentralen Leitbilder Ihrer Organisation,  „die Eigenverantwortung aller Verkehrsteilnehmer zu stärken“? In diesem Fall bitten wir Sie, Ihre Haltung nochmals zu überdenken.

 

 

Mit freundlichen Grüßen,

Stephan Berndt,

Vorsitzender von „TaxiDeutschland, Landesverband Berlin e. V.“

 

 

 

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Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. (DVR), 1969 gegründet zur Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Eine besondere Bedeutung hat im DVR die betriebliche Verkehrssicherheitsarbeit. Zu den Mitgliedern gehören die für Verkehr zuständigen Ministerien von Bund und Ländern, die Berufsgenossenschaften, Deutsche VerkehrswachtAutomobilclubsAutomobilherstellerPersonenbeförderungsunternehmenVersicherungenWirtschaftsverbändeGewerkschaftenKirchen und sonstige Institutionen und Organisationen.